Caruso

  Immer wieder werden vor unserem Gnadenhof Katzen aus dem Auto geworfen und ihrem Schicksal überlassen. Wir wissen das schon seit Jahren, haben auch schon viele Katzen eingefangen, die hier ausgesetzt wurden. Darum stehen immer Futter und Wasser vor unserem Tor bereit, damit die Katzen in der Nähe bleiben und nicht zur nahe gelegenen sehr stark befahrenen Bundesstraße laufen, wo sie in größter Gefahr wären. Auch ein Häuschen steht vor dem Tor, wärmeisoliert, damit sie darin schlafen können.

  Wenn einmal Futter fehlt, wissen wir sofort: Es ist wieder so weit, wir müssen uns auf die Lauer legen und herausfinden, was für ein Tier zum Fressen kommt. So wie eines Tages im Frühling …

 Wochenlang war nichts zu sehen, es fehlte zwar täglich Futter, aber es gab nicht die kleinste Spur, keine Fußabdrücke, gar nichts.

  Doch irgendwann, als wir gerade im Katzengehege arbeiteten, saß plötzlich eine Katze vor dem Gehege und schaute hinein. Sie war wahrscheinlich weiß, doch dermaßen verdreckt, verschmiert und das Fell so verklebt, dass man die Farbe kaum erkennen konnte. Sie schaute sehnsüchtig zu den Katzen hinein. Als wir das gesehen hatten, stellte Barbara, die Katzenmami, das Futter nun immer vor dem Gehege auf, damit die Katze in der Nähe blieb. Vielleicht wäre es leichter, sie hier einzufangen.

  Die Katze kam täglich zum Futter, setzte sich vor das Gehege und schaute hinein. Doch ihr nähern durfte man sich nicht, dann lief sie sofort davon. Natürlich, sie war ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen worden, irrte schon wer weiß wie lange durch die Gegend, ehe sie unsere Katzen gefunden hatte. Oft ging sie auch in den Wald, wir konnten das nicht verhindern, doch sie kam immer wieder zurück zum Fressen.

  Nach einiger Zeit beschlossen wir, die Katzenfalle aufzustellen und hineinzufüttern. Die Katzenfalle ist aus Holz und vergittert, es ist darin also nicht dunkel. Wir stellten das Futter jeden Tag ein Stückchen näher zur Falle und dann einmal hinein. Die Katze fraß immer alles auf, ging sogar in die Falle hinein. Wir hatten sie zuerst gesichert, damit die Tür nicht zufallen konnte. Nach einiger Zeit hatte die Katze sich daran gewöhnt, auch in der Falle zu fressen, und wir stellten sie scharf. Wir hofften, dass die Katze wieder hineinging und die Tür hinter ihr zufiel, wie es normalerweise funktioniert.

  Den ganzen Tag lang tat sich nichts. Es schien, als ahnte die Katze, dass sie nicht mehr aus der Falle herauskann, wenn sie sie betritt. Wir warteten und warteten, waren ständig auf der Hut, dass wir sofort da sind, wenn die Falle zuschnappt. Mit einer Decke bewaffnet, die wir über die Falle legen wollten, damit sich die Katze nicht zu sehr aufregt, wenn sie nicht mehr raus kann. Doch nichts geschah.

  Am Abend kam sie dann, ging in die Falle und die Falle schnappte zu. Ich war gerade im Haus und sah das, holte die Decke und lief zur Falle. Doch die Katze war nicht drin. Sie hatte sich irgendwie herausgewunden, wie, das weiß ich nicht. Es kann nur sein, dass die Tür nicht gleich zugefallen war und die Katze im letzten Moment noch entwischte.

  Schön, schön, diese Katze würde also lange nicht mehr zum Futter kommen … darum machten wir die Falle wieder zu, stellten sie beiseite, und fütterten wieder vor dem Gehege. Eine Zeitlang ohne Erfolg, doch bald war das Futter wieder weg. Also stellten wir die Falle wieder scharf. Und das Spiel begann von vorne: Die Katze kam, ging immer brav hinein und fraß alles auf. Und dann, als wir die Falle wieder scharf gestellt hatten, kam sie lange nicht zum Futter. Wir hatten eigentlich schon die Hoffnung aufgegeben, dass die Katze überhaupt eingefangen werden kann. Trotzdem stellten wir jeden Tag die Falle mit frischem Futter auf.

  Eines Abends, ich wollte gerade wie jeden Tag die Häschen in ihren Stall bringen, schaute ich wie üblich noch zur Falle. Und sie war zu. Ich ging hin und sah, dass die Katze drinsaß! Das war ein riesiger Glückstreffer. Ich legte eine Decke über die Falle und trug sie vorsichtig ins Haus. Dort kam die Katze in den Quarantänekäfig, und wir sahen, dass es ein ziemlich großer Kater war. Obwohl wir ihn schon so lange gefüttert hatten, war er nur Haut und Knochen, ein furchtbarer Anblick! Diesen Kater anzusehen tat wirklich sehr weh.

  Als wir ihn ausgiebig gesäubert hatten, war sein Fell tatsächlich schneeweiß. Und er hatte eine Besonderheit, nämlich ein blaues und ein gelbes Auge. Wir nannten ihn „Caruso“, päppelten ihn ein paar Wochen auf, und als er etwas Gewicht zugelegt hatte, brachten wir ihn zum Tierarzt zum Kastrieren. Es sind zwar fast alle unsere Katzen auch kastriert, aber 2 können aus gesundheitlichen Gründen nicht kastriert werden. Nach der Operation blieb er wieder einige Tage im Quarantänekäfig, dann durfte er endlich ins Katzenhaus.

  Das gefiel ihm offensichtlich, denn er kannte den Freilauf ja schon von außen, wo wir ihn gefüttert hatten. Leider hatte er einige ganz schlimme Angewohnheiten. Sobald meine Tochter, die Katzenmami Barbara, ins Katzenhaus kam, ging er augenblicklich auf ihre Füße los. Er kratze sie, biss sie hinein, war kaum zu bremsen. Er muss früher wohl mit Füßen getreten oder sonst wie misshandelt worden sein, er hatte mit Füßen ein Riesenproblem. Meine Tochter schaffte Abhilfe, indem sie das Katzenhaus nur mehr in Gummistiefeln betrat. Er machte aber weiter und biss sogar in die Stiefel, es war wirklich schlimm. Gott sei Dank gewöhnte er sich mit der Zeit ein bisschen daran, denn Barbara hatte immer wieder versucht, ihn zu locken und dann zu streicheln. Nach einiger Zeit gelang ihr das auch, und es war einfach rührend zu sehen, als er sich zum ersten Mal von ihr streicheln ließ und das sichtlich genoss. Er schmiegte sich an sie, legte den Kopf in ihre Hand und schnurrte. So ein armes Häufchen Elend! Wir waren so glücklich in diesem Moment, nach all den Mühen und Sorgen, und der Kater war es offenbar auch.

  Er fraß gut, er spielte, er freute sich seines Lebens, war im Freilauf glücklich, lag aber auch gerne im Katzenhaus in einem weichen Bettchen. Leider hatte er ein großes Problem mit einem unserer Kater, obwohl unsere Katzen sehr freundlich sind und jeden sofort willkommen heißen. Es war der rotweiße Azrael, auf den er sofort losging, wenn er ihn sah. Sie kugelten und rollten durch das Katzenhaus, schrien und bissen sich. Azrael war für Caruso nur ein Objekt, das er ständig und scheinbar grundlos attackierte, sobald er in seine Nähe kam. Azrael versteckte sich daraufhin bald nur mehr den ganzen Tag, und das war auch kein Leben. Wenn er den weißen Kater nur sah, fing er an zu schreien, und Caruso jagte ihn daraufhin durch das Katzenhaus und schaffte es immer, ihn in sein Versteck zu zwingen, sodass er nicht mehr rauskonnte. Barbara fütterte Azrael in seinem Versteck, damit er wenigstens in Ruhe fressen konnte. Wir hofften, dass sich „Kampfkater Caruso“ irgendwann einmal beruhigen würde. Wir hatten viele rote Katzen, auch rotweiße, die alle waren ihm egal. Es war nur dieser eine rote Kater, der ihm so ins Auge stach.

  Wir ließen ihm Zeit. Barbara beschäftigte sich viel mit beiden Katern, sodass Caruso sah, dass er in Azrael keinen Feind haben und nicht eifersüchtig sein musste, sondern ihm der rotweiße Kater eigentlich gutgesinnt war. Es dauerte lange, bis Azrael, dem Barbara gut zuredete und ihn lockte, mit in den Freilauf ging, während Caruso draußen war. Dort hielt er sich kurz auf, doch sobald er Caruso sah, war er wieder weg.

  Das ging einige Zeit so, bis sich Azrael eines Tages nichts mehr gefallen ließ. Jetzt wurde auch er böse und wehrte sich heftig, wenn Caruso ihn angriff. Rote und weiße Haarbüschel flogen, Geschrei, Kratzer, Bisse … aber wir durften nicht eingreifen, die beiden mussten irgendwie zusammenkommen und das unter sich ausmachen. Man durfte keinen bevorzugen und keinen benachteiligen, und das geschah auch nicht, Barbara befasst sich mit allen Katzen gleich viel.

  Mit der Zeit ebbte Carusos Angriffslust endlich etwas ab. Azrael wurde wieder mutiger und beachtete ihn nicht. Wenn er ihm zu nahe kam und sah, dass Caruso ihn angreifen wollte, stellte er sich dagegen, fauchte und schrie, woraufhin Caruso innehielt und sich schließlich zurückzog.

  Mit der Zeit haben sie sich irgendwie arrangiert, und heute funktioniert es recht gut. Die beiden lieben sich nicht, sie gehen sich aber auch nicht aus dem Weg. Caruso hat sich beruhigt, unterstützt durch homöopathische Mittel, die wir ihm einige Zeit verabreicht haben, um den Stressfaktor zu senken. Heute braucht er die nicht mehr, Azrael und er kommen auch so miteinander aus.

  Caruso wiegt heute 7 kg, er ist ein Riesentier geworden. Und wenn man vergleicht, wie er ausgesehen hat, als er zu uns gekommen ist und heute, so stellt man fest: Er ist eine wahre Schönheit. Allerdings hat er Angst vor Fremden, aber auf Fremde muss er sich bei uns gar nicht einlassen. Wir sind froh, dass er glücklich ist, und das ist er sichtlich, hier muss er sich vor nichts mehr fürchten.

  Und ich frage mich wieder einmal: Wie kann man ein Tier nur aussetzen, einfach seinem Schicksal überlassen? Ich denke, es ist vielen Leuten zu umständlich und mühevoll, wenn ein Kater kastriert werden muss. Vielleicht wurde der Kater auch von Kindern geärgert oder getreten und hat sich gewehrt, indem er auf die Füße losging. Aber das ist jetzt alles kein Thema mehr. Caruso ist glücklich und zufrieden, aalt sich gern in der Sonne, freut sich, wenn er Barbara sieht und hat sich mit den anderen Katzen gut geeinigt. Wir hoffen, dass wir ihn noch lange bei uns haben!

Marianne Friesenegger

 

 

Babsi und Caruso

Caruso

        

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2025 Verein Hoffnung für Tiere